Übersetzungsfehler können Missverständnisse hervorrufen, deren Folgen nicht immer absehbar sind. Das ist oder sollte bekannt sein. Doch selten werden solche Übersetzungsfehler zugegeben. Oft bleibt die erste Nachricht in Erinnerung bei den Zuschauern, Zuhörern oder Lesern. Die Wahrheit der rechten Worte bleibt im Dunkeln. Die Übersetzung wird zu selten in Frage gestellt, wenn sie ins Weltbild passt und die eigene Einschätzung bestätigt.
Weitere Beispiele zeigen, wie sich aus Unkenntnis der arabischen Sprache und Kultur in journalistische Texte Übersetzungsfehler einschleichen. Saddam Husseins Appell ans Volk, «zum Wohl unserer Kinder» den US-Invasoren standzuhalten, sei zum Beispiel von den Nachrichtenagenturen als Aufforderung präsentiert worden: «Wir müssen unsere Kinder opfern.» In den Redaktionen sei niemand auf die Idee gekommen, den Text noch einmal zu überprüfen; stattdessen wurde das Statement als «eiskalte Ermahnung des Tyrannen» kommentiert.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Journalisten als Spin Doctors, 18.08.2006
Ein jüngeres Beispiel eines Übersetzungsfehlers kam im Januar 2006 bei CNN vor:
Der CNN-Mitarbeiter hatte bei einer Pressekonferenz am Samstag Ahmadinedschads Erklärung, Iran habe das Recht auf Atomenergie und Atomtechnologie falsch übersetzt. Er hatte berichtet, der Präsident habe erklärt, Iran habe das Recht auf Atomwaffen. CNN hatte sich dafür bereits entschuldigt.
Quelle: Netzeitung, Iran lässt CNN-Reporter nicht mehr arbeiten, 16.01.2006
Knut Mellenthin weist auf den ebenso folgeträchtigen Übersetzungsfehler hin, wonach der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad gesagt habe: »Israel muß von der Landkarte getilgt werden.« Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) klärte auf, dass er sagte:
»Der Imam (Khomeini) hat gesagt: ›Das Regime, das Quds (arabischer Name Jerusalems) besetzt hält, muß von den Seiten der Geschichte gestrichen werden.‹ Dieser Satz ist sehr weise. Das Thema Palästina ist keines, bei dem wir Kompromisse machen können.«
In der taz fragte sich Renée Zucker Ende Juli:
Beim Treffen mit der libanesischen Regierung sah die US-Außenministerin eindeutig gut gelaunt aus. Zu den Bildern der lachenden Ministerin im Kreise ihrer amerikanischen und libanesischen Kollegen sagen unsere Fernsehsachbearbeiter, sie sei sehr besorgt über die humanitäre Katastrophe im Südlibanon. Eine Waffenruhe möchte sie deswegen aber nicht. Vielleicht war das aber auch ein Übersetzungsfehler. In diesen Tagen werden sogar manche englischen Zitate falsch wiedergegeben. Wie mag es dann erst bei den arabischen oder iranischen hergehen? Was bedeutet so ein Satz wie der, den Chamenei gesagt haben soll, Israel sei ein “infektiöser Fötus für alle Muslime der Welt”?
Quelle: taz, World gone wrong, 27.07.2006
Diese wenigen Beispiele sollten eigentlich bewusst machen, dass erstens Übersetzungen nicht einfach, zweitens nicht fehlerfrei sind und drittens auch durchaus missbraucht werden können, um propagandistischen Zielen und so politischen Absichten zu dienen. Der Weg eines Gedanken von einer Sprache zu einer anderen ist nicht ohne sprachliche Stolpersteine, die manchmal zu politischen Pflastersteinen werden.
Deshalb fragen sich nicht nur aufmerksame Journalisten, ob nicht auch Übersetzungsfehler vorliegen könnten, wenn mal wieder etwas krud erscheint. Beim folgenden Beispiel ist dies nicht der Fall. George W. Bush hat vor kurzem bei einer weltweit verbreiteten Erklärung den Begriff Islamic Fascists benutzt und er meinte damit islamische Faschisten. Er hat damit bewusst provoziert, dass die folgende propagandistische Gleichung sich in den Köpfen weltweit verankert: Islam gleich Faschismus.
Welche Folgen das beim Einzelnen hat, kommt auf seine Einstellung an. Ein dem Islam angehörender Mensch, also ein Muslim, eine Muslima wird sich hierdurch selbst bei aller Toleranz durchaus angegriffen fühlen. Christen und Juden würde es ebenso ergehen, wenn sie mit den scheinbar religiös begründeten politisch motivierten Ismen ihrer Religionen in einen Topf geworfen werden würden. Deutlich wird, dass hier jemand seine Macht missbraucht, um Vorurteilen öffentlich Raum zu geben. Das ist Rankism nach Robert W. Fuller.
Aufgeklärte Menschen, ob Christen, Juden oder Muslime, stellen den Islam nicht mit dem Islamismus gleich. Aber sie wissen, dass dieser intellektuelle Übersetzungsfehler den Islamismus fördert. Doch um diesen Mechanismus wissen noch zu wenige. So wird ein Feindbild aufgebaut, das im öffentlich geduldeten Missbrauch der Sprache seine Ursache hat. Sprache ist eine mächtige Waffe.
Schließlich gibt es auch einen Einsatz der Sprache als Machtinstrument, der zwar nicht unmittelbar mit dem Waffenkrieg zusammenhängt, aber eine große politische Bedeutung besitzt. Ein Beispiel dafür bietet Orwells Roman „1984“. Hier verwirft und verleumdet die herrschende, sozialistisch firmierende Partei „jeden Grundsatz, für den die sozialistische Bewegung ursprünglich eintrat, und zwar im Namen des Sozialismus … Das Ministerium für Frieden befasst sich mit Krieg, das Ministerium für Wahrheit mit Lügen, das Ministerium für Liebe mit Folter, das Ministerium für Überfülle mit Hungertod“.
Dabei handelt es sich nicht um gewöhnliche Heuchelei, sondern um eine Erscheinung, die man als „strukturelle Verlogenheit“ bezeichnen könnte.
Diese sprachliche Alchemie steht in engem Zusammenhang mit einem Grundelement der Politik, der Macht. So erheben Gruppen, die erst nach der Macht streben, die Forderung nach Freiheit und Gleichheit als Waffe gegen die schon an der Macht Sitzenden. Haben sie aber diese erobert, dann werden jene Parolen bei gleichbleibendem Wortlaut den Bedürfnissen der nunmehr Mächtigen angepasst und das heißt: in ihr Gegenteil verkehrt. Dabei soll der gleichbleibende Wortlaut die positiven Gefühlswerte bewahren, die mit der ursprünglichen Bedeutung verbunden waren, eine Kontinuität der edlen Grundsätze vortäuschen und die neue Funktion jener Ausdrücke als Herrschaftsinstrumente der nunmehrigen Machthaber verdecken. Wer sich aber erdreistet, solche Parolen in ihrem ursprünglichen, herrschaftskritischen Sinn zu verstehen, verfällt der Verfemung.
So gibt es etwa Massenmord im Namen der neuen Moral und absoluten Humanität, Terror im Namen von Freiheit und Befreiung. Ein anderes Beispiel sind etwa jene „kritischen Intellektuellen“, die heute zumindest die veröffentlichte Meinung weitgehend bestimmen.
Quelle: Ernst Topitsch, Sprache als Waffe, PDF-Datei, aus Jahrestagung der Wissenschaftskommission 2000, Die Rolle des Krieges in der europäischen Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts [Hervorhebung von mir]